Seit über einem Jahr ist Rolf Spurzem Vorsitzender der Deutschen Justizgewerkschaft Rheinland-Pfalz. Am 21. Juni 2017 wurde er durch die Delegierten des Landesgewerkschaftstages im ersten Wahlgang in sein Amt gewählt. Im großen DJG RLP-Interview spricht er über die Gewerkschaftsarbeit und seine Visionen.
Rolf, Du bist nun mehr als ein Jahr im Amt: An wie vielen Tagen hast Du die Entscheidung, als Vorsitzender der Deutschen Justizgewerkschaft Rheinland-Pfalz zu kandidieren, schon bereut?
Rolf Spurzem:
An keinem einzigen Tag habe ich die Entscheidung für das Amt des Landesvorsitzenden zu kandidieren bereut. Im Gegenteil. Auch nach einem Jahr im Amt kommen immer wieder andere, unterschiedliche, auch neue und ungeahnte Herausforderungen auf uns zu. Es ist sehr abwechslungsreich. So mag ich das.
Hättest Du gedacht, dass so viel Arbeit auf Dich zukommt?
R. S.: Ja. Das war mir von vorne herein bewusst. Bereits zwei Jahre vor dem Landesgewerkschaftstag hatte sich der Landesvorstand darauf verständigt, dass ich für die Nachfolge von Helmut Hau als Landesvorsitzender kandidieren sollte. So hatte ich genügend Zeit, mich darauf vorzubereiten. Allerdings immer mit dem Bewusstsein, dass wir in einer Demokratie leben. Die oder der Landesvorsitzende wird vom Landesgewerkschaftstag gewählt. Dort hätte es auch zu einem anderen Ergebnis kommen können.
Glücklicherweise arbeite ich mit einem motivierten Vorstand, mit dem ich gemeinsam die Aufgaben angehe.
Wie viel Zeit investierst Du täglich in die Gewerkschaftsarbeit?
R. S.: Das ist ganz unterschiedlich. Man kann die Tätigkeit nicht an Zeiten binden oder messen. Es kommt vor, dass ich einmal nur eine oder zwei Stunden etwas für die Gewerkschaft mache, dann reicht mal wieder ein ganzer Tag nicht aus. So vielfältig wie die Gewerkschaft selbst ist, gestaltet sich auch die Arbeit mit ihr.
US-Präsident Donald Trump twittert zum Beispiel mit Vorliebe. Du auch?
R. S.: Jetzt bin ich ertappt… Ich habe keinen Twitter-Account und auch selbst kein facebook-Profil. Da bin ich vielleicht etwas altmodisch und sollte mal darüber nachdenken.
Die Gewerkschaftsarbeit durchlebt allgemein eine schwierige Zeit. Wie wichtig ist die DJG für die Belange aller Justizbeschäftigten in Rheinland-Pfalz?
R. S.: Für die Belange aller in der Justiz beschäftigten Kolleginnen und Kollegen ist die DJG nach wie vor sehr wichtig. Auch wenn es vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Die DJG ist in den Personalvertretungen der Staatsanwaltschaften und Gerichte sehr stark vertreten, in vielen Personalvertretungen sogar in der Mehrheit. Dort werden die Interessen der Bediensteten an „vorderster Stelle“ vertreten.
Zudem steht die Justiz vor einem großen Wandel. Mit der Einführung der elektronischen Akte werden die Kolleginnen und Kollegen vor neue, derzeit noch unklare Herausforderungen gestellt. Uns als Gewerkschaft kommt die Aufgabe zu, diesen Wandel wohlwollend aber auch kritisch zu begleiten. Die Digitalisierung der Arbeitswelt schafft neue, bisher unbekannte oder bisher nicht beachtete Anforderungen und Fragen. Für uns ist es wichtig und auch oberste Priorität, dass die Kolleginnen und Kollegen in den Staatsanwaltschaften und Gerichten nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden, sondern umfassend informiert und geschult in das neue digitale Zeitalter mitgenommen werden. Die Rechte der Arbeitnehmer dürfen auch im digitalen Zeitalter nicht ungeachtet oder beschnitten werden. Die Arbeitsumgebung kann noch so schön und digital sein, ohne den Menschen, der diese Technik nutzt und bedient, wird es nicht gehen. Die Justizbediensteten müssen daher auch in Zukunft im Vordergrund stehen. Die Technik ist für den Menschen da und nicht umgekehrt. Dafür kämpft und steht die DJG. Das ist der eine Punkt.
Ein anderer und der zweifelsfrei wichtigste Punkt ist natürlich die Besoldung bzw. das Gehalt. Dafür gehen wir ja alle zur Arbeit.
Eine Tariferhöhung ist nicht selbstverständlich und kommt auch nicht automatisch. Um jeden Cent wird in den Tarifverhandlungen hart gekämpft und gestritten. Bis hin zu Arbeitskampfmaßnahmen, etwa die Streiks. Je mehr Arbeitnehmer sich in den Gewerkschaften organisieren und sich bei den Arbeitskampfmaßnahmen beteiligen, umso größer sind die Erfolgsaussichten in den Tarifverhandlungen. Das gilt nicht nur für die Tarifbeschäftigten, sondern auch für die Beamten. Denn jede Tarifverhandlung ist mit der Forderung zur Übertragung des Tarifergebnisses auf die Beamtenbesoldung verbunden.
Die DJG ist in der Bundestarifkommission personell gut vertreten. So können auch justizspezifische Themen in die Tarifverhandlungen einfließen. Aber auch durch die DJG formulierte allgemeine Forderungen finden immer Beachtung.
Als einzelner Justizbediensteter bin ich da verloren. Aber in der solidarischen Gemeinschaft einer Gewerkschaft, kann ich mich und meine Ideen mit einbringen.
Die Mitgliederzahlen sind in den letzten Jahren leider stagniert. Was kann man gegen den Mitgliederschwund und für die Gewinnung neuer Mitglieder aktiv tun?
R. S.: Hinsichtlich der Mitgliederzahlen sieht es eigentlich gar nicht so schlecht aus. Trotz einer im Vergleich zu den Vorjahren größeren Austrittswelle in 2017, konnten wir viele Kolleginnen und Kollegen für uns gewinnen, so dass wir 2018 mehr Mitglieder haben, als vor 2017.
Dennoch dürfen wir uns nicht zurücklehnen und so tun, als wäre das so in Ordnung.
Wir müssen insgesamt mehr Präsenz zeigen und auch unsere Öffentlichkeitsarbeit weiter ausbauen, d.h. unseren Bekanntheitsgrad erhöhen. Die Mitgliedschaft in der DJG bietet viele Vorteile, die wir auch bewerben müssen. Das geht nur, indem wir mehr auf unsere Kolleginnen und Kollegen zugehen. Der Slogan der DJG lautet „Wir für mehr“. Wobei der Focus auf das Wort „Wir“ gerichtet ist. Mit dem „Wir“ möchten wir zeigen, dass die DJG Teil der Justiz ist und dadurch möchten wir die Kolleginnen und Kollegen von der Mitgliedschaft überzeugen. Unsere aktiven Kräfte in den Personalvertretungen, in den Bezirksgruppen und im Landesvorstand sind alle Mitarbeiter der Justiz. Die DJG kennt daher die Sorgen, Nöte und Anliegen der Justizbediensteten genau. Das zu vermitteln ist eine der vielen Aufgaben, die vor uns liegen. „Wir sind Justiz“.
Die Justiz befindet sich personell im Umbruch. Wie wird sich die Gewerkschaft hinsichtlich der Pensionswelle und der Gewinnung von adäquatem Nachwuchs positionieren?
R. S.: Gemeinsam mit den in der AG Justiz vertretenen Gewerkschaften (BDR, BSBD, DAAV, DGVB und DJG) vertreten wir den Standpunkt, dass die Nachwuchsgewinnung durch die Einrichtung einer Zentralstelle im Justizministerium koordiniert, gesteuert und auch entsprechend ausreichend finanziert werden muss. Die bisherige Praxis von Werbeständen bei Ausbildungsmessen, die durch die beiden OLGs koordiniert werden, haben sich zwar bewährt, sind aber mit Blick auf die Zukunft gerichtet nicht ausreichend. Adäquaten Nachwuchs findet man nicht gerade wenn man nur mal aus dem Fenster schaut. Hier muss schon intensiv mit eigens dafür eingestelltem Personal ganzjährig geworben werden. Die Zeiten, in denen die Bewerber Schlange standen, sind lange vorbei. Die Auswahl an Ausbildungsplätzen ist derzeit so groß, wie schon seit Jahren nicht mehr. Auch innerhalb des öffentlichen Dienstes gibt es einen Konkurrenzkampf um die besten Nachwuchskräfte. Glücklicherweise konnten wir bisher gute und motivierte Auszubildende finden. Aber mit Blick auf die Zukunft, in denen immer mehr junge Menschen aus den geburtenschwachen Jahrgängen in das Berufsleben eintreten, wird die Auswahl schwieriger. Nicht weil die Auszubildenden schlechter werden, sondern weil weniger junge Menschen ins Berufsleben starten.
Wir als Berufsvertretung müssen auch unseren Teil dazu beitragen, etwa in dem wir auf unserer Internetseite die in der Justiz vertretenen Berufsgruppen vorstellen und zu den entsprechenden Bewerbungsstellen verlinken. Aber auch indem wir unserer Forderung für die Einrichtung einer Zentralstelle zur Nachwuchsgewinnung in der Justiz Nachdruck verleihen.
Was hat sich in Deiner bisherigen Amtszeit getan?
R. S.: Nach außen hin hat sich vielleicht nicht viel getan. Wir arbeiten derzeit intern an einem Umbau der DJG zu einer modernen (Mitmach-)Gewerkschaft. Der Landesvorstand wurde personell verjüngt und die Aufgaben innerhalb des Vorstandes neu verteilt. Die Umsetzung der europaweiten Datenschutzverordnung EU-DSGVO hat mehr an Zeit und personellen Ressourcen abverlangt, als wir eigentlich eingeplant hatten. So mussten wichtige Projekte erstmal zurückgestellt werden.
Da alle Vorstandsmitglieder ehrenamtlich tätig sind und in der Hauptsache ihrer täglichen Arbeit in den Gerichten nachgehen, kann vieles nicht so zügig umgesetzt werden, wie man es sich vielleicht wünscht. Aber ich bin mit dem bisherigen Ergebnis sehr zufrieden.
Die ersten politischen Ziele wurden erreicht. Nach Jahren der „personellen Dürre“ in der Justiz, strebt das rheinland-pfälzische Justizministerium nunmehr die Umsetzung von Pebb§y 100 an. Einer Forderung, die die DJG mit den Kolleginnen und Kollegen in der AG Justiz gemeinsam bestreitet. In dem Entwurf des Landeshaushaltsplans 2019/2020 hat die rheinland-pfälzische Landesregierung nunmehr insgesamt 203,5 neue Stellen für die Gerichte und Staatsanwaltschaften sowie 61,5 Stellen im Justizvollzug eingebracht. Ein Schritt in die richtige Richtung. Ohne den beharrlichen Druck wäre nie Bewegung in die Sache gekommen.
Wie geht es in den nächsten Jahren mit der DJG weiter?
R. S.: Wie bereits erwähnt, muss die DJG für die neuen Herausforderungen der Zukunft fit gemacht werden. Die Digitalisierung der Justiz und die Nachwuchsgewinnung führen die Themenliste an.
Wichtig für die Zukunftsgestaltung der DJG ist eine stärkere Beteiligung der Mitglieder. Wir verstehen uns als Mitmach-Gewerkschaft. Um das Mitmachen überhaupt zu ermöglichen, müssen die dafür notwendigen Strukturen geschaffen werden.
So sitzen wir im Vorstand derzeit an den Planungen eines internen DJG-Forums für die Mitglieder. Dieses Forum soll als Diskussionsplattform im internen Bereich unserer Homepage verankert werden, aber auch ein einmal im Jahr stattfindendes Treffen, in dem wichtige Themen mit den Mitgliedern diskutiert werden sollen, befinden sich derzeit auf dem Prüfstand. An Ideen mangelt es nicht. Sie müssen aber realisierbar sein.
Im Vordergrund steht der Informationsausbau. Neben dem beruflichen Rechtsschutz ist u.a. die Versorgung mit wichtigen Informationen aus der Berufswelt ein grundlegender Baustein der Gewerkschaftsarbeit. Auch hier arbeiten wir derzeit an den verschiedensten Modellen.
Ziel ist es, die Attraktivität der DJG zu erhöhen und dadurch die Begeisterung und die Bereitschaft zur Mitgliedschaft zu stärken. Gewerkschaften sind Solidargemeinschaften, sie leben für und mit den Kolleginnen und Kollegen.
Und Deine Visionen?
R.S.: Ich bin nicht der große Visionär. Aber ich wünsche mir, dass durch die DJG, als die größte Fachgewerkschaft in der Justiz auch in 50 Jahren und darüber hinaus die Interessen aller Kolleginnen und Kollegen in den Staatsanwaltschaften und in den Gerichten vertreten werden.
Auch trotz vieler an die Zeit gebundenen Änderungen und Anforderungen bleiben die Ziele unserer Gewerkschaftsarbeit auch in Zukunft eine leistungsgerechte Bezahlung, eine aufgabenbezogene Personalausstattung sowie eine ausreichende und qualifizierte Aus- und Fortbildung.
ZUR PERSON
Nach der Berufsausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann in Heidelberg trat Rolf Spurzem als Mitarbeiter des Arbeitsamtes Mayen 1989 in den öffentlichen Dienst ein. Nach weiteren beruflichen Stationen bei der Sparkassen-Informatik-Gesellschaft in Mainz und der Stadtverwaltung Mayen wechselte er 1994 in die rheinland-pfälzische Justiz. Seit 2003 ist er im IT-Referat des OLG Koblenz tätig. Im Rahmen eines nebenberuflichen Studiums schloss er 2004 die Prüfung zum Industrie-Betriebswirt ab.
Gewerkschaftlich war Rolf Spurzem seit 1984 berufsbedingt in verschiedenen Gewerkschaften organisiert. In der DJG Rheinland-Pfalz ist er seit 2012 engagiert.
2013 wurde er in den Hauptpersonalrat beim Ministerium der Justiz und in den Bezirkspersonalrat beim OLG Koblenz gewählt. In beiden Gremien ist er seit den Personalratswahlen 2017 als stellvertretender Vorsitzender vertreten.
Das Interview führte Christian Esch.